Donnerstag – Ankommen und Eintauchen in die Stadt
Pünktlich um neun Uhr morgens starteten wir – Christian, Holger S., Michelle und ich – Richtung Gent. Die Fahrt verlief entspannt, und schon bald standen wir vor dem Bootshaus, das für zwei Tage unser Zuhause sein sollte. Nach dem Einchecken übernahm Holger S., bestens ortskundig, die Rolle des Stadtführers. Unser Rundgang durch Gent war einfach großartig: beeindruckende Architektur, kleine Plätze, urige Gassen, verwinkelte Wasserstraßen – ich konnte mich kaum sattsehen. Hinter jeder Ecke wartete ein neues Fotomotiv. Diese Stadt hat so viel Charme, dass ich mir schon jetzt sicher bin: Ich komme wieder!
Fotos: Anke Mutschler
Am Abend aßen wir in einem türkischen Restaurant, wo auch Anne, Susanne und Holger zu uns stießen. Danach ließen wir den Tag in einer Bierkneipe ausklingen. Zurück im Bootshaus wurde noch ein bisschen geplaudert und die Taschen für den nächsten Tag gepackt.
Freitag – Rudern durch das Herz von Gent
Der Freitag stand ganz im Zeichen des Ruderns. Zwei Boote – ein gesteuerter Vierer und ein gesteuerter Zweier – machten sich auf den Weg durch die Wasserstraßen Gents. Zuerst ging es über ein Stück der Regattastrecke, dann hinein in die idyllischen Kanäle, gesäumt von tiefhängenden Weiden und grünen Uferabschnitten.
Der Höhepunkt war die Durchfahrt durch das historische Zentrum: umgeben von prachtvollen Fassaden, alten Brücken und staunenden Touristen, die uns vom Ufer aus zuwinkten.
Weiter draußen führte uns die Strecke vorbei an Yachten und eleganten Villen, bis wir an einer kleinen Anlegestelle Halt machten. Bei kaltem Wind genossen wir unser Picknick: Brötchen, Wurst, Käse und allerlei Mitgebrachtes. Auf dem Rückweg spürte ich jeden Schlag – 34 Kilometer insgesamt, davon 28 selbst gerudert! Für jemanden, der erst im März mit dem Rudern angefangen hat, bin ich ziemlich stolz darauf. Nach der Ankunft im Bootshaus ging’s direkt unter die Dusche und dann zum wohlverdienten Abendessen in eine Pizzeria.
Samstag – Stürmisches Abenteuer in Gravelines
Früh am Morgen machten wir uns auf den Weg nach Gravelines. Eigentlich wollten wir beim Training mit den französischen Ruderfreunden unseres Partnervereins mitrudern. Doch schon beim Blick aufs Wasser war klar: Heute wird’s spannend. Der Wind peitschte Wellen über den Kanal, das Wasser schäumte – Rudern unter Extrembedingungen. Trotzdem bekamen wir einen Doppelachter zusammen: Anne, Michelle, Christian, Holger und ich waren dabei. Für mich war es das erste Mal in einem Doppelachter – ein beeindruckendes Gefühl! Das hielt allerdings nicht lange an: Ich verstand die Steuerfrau kaum, der Schlagmann fuchtelte verzweifelt mit dem Skull, jeder ruderte irgendwie anders, das Boot wurde vom Wind quer zur Bahn getrieben und ehe wir uns versahen, klebte es schließlich am Steg des gegenüberliegenden Ufers. Der Wind drückte so stark, dass wir keine Chance auf ein erneutes Ablegen hatten. Das Abenteuer war schneller vorbei, als es begonnen hatte. Immerhin: Der Achter war danach blitzsauber, und duschen mussten wir auch nicht.
Mittags picknickten wir im historischen Festungsbereich von Gravelines – wieder im Freien, wieder bei Wind und Kälte, aber mit viel guter Laune. Danach hatten wir Freizeit, und ich nutzte sie, um ans Meer zu fahren. Christian und Holger brachten Michelle und mich an den Strand. Es war einer der Gründe, warum ich mich für diese Fahrt angemeldet hatte – an der Nordseeküste zu stehen! Michelle testete mutig die Wassertemperatur und versank unerwarteterweise im Schlick, während ich einfach den Wind und das Meer genoss.
Später machte ich mich alleine auf den Weg entlang der Mole, die fast einen Kilometer weit in die Brandung führt. Der Wind blies so heftig, dass ich mehrmals stehen bleiben musste; ich hatte Angst, dass ich weggeweht werde. Später las ich, dass es Böen mit bis zu 60 km/h waren! Trotzdem schaffte ich es bis ganz nach vorne – ein Gefühl von Naturgewalt, das ich nie vergessen werde. Zurück am Leuchtturm – der an diesem Tag wegen des Sturms übrigens geschlossen war – ruhte ich mich kurz aus, bevor ich noch im Sturm durchs Watt zum ablaufenden Wasser lief. Insgesamt kamen so fast 20.000 Schritte zusammen.
Völlig durchgepustet, durchgefroren, aber glücklich ließ ich den Tag im Restaurant Face à la Mer ausklingen, wo wir später alle mit Florent, unserem französischen Ruderfreund, zum Abendessen zusammenkamen.
Sonntag – Die „Descente de l’Aa“: Ein Ruderfest der besonderen Art
Am Sonntag stand das große Event an, weswegen wir überhaupt gefahren waren: die Descente de l’Aa. Ruderer aus ganz Frankreich – und wir mittendrin – trafen sich in Houlle, um gemeinsam über die Aa nach Gravelines zu rudern.
Bei kaltem Wetter versammelten wir uns früh morgens am Bootshaus unseres Partnervereins. Von dort brachte uns ein Bus zum Startpunkt. Schon beim Aussteigen herrschte geschäftiges Treiben: Überall Boote, Ruderer, helfende Hände, aufgeregtes Stimmengewirr. Die Freunde unseres Partnervereins hatten bereits alles vorbereitet – Boote aufgeriggert, Skulls bereitgelegt, heiße Getränke, Obst, Schokolade und Gebäck für alle. Nach einer kurzen Ansage wurde Boot für Boot ins Wasser gelassen. Anne und Christian ruderten in einem französischen Vierer, wir anderen – Holger S., Michelle, Susanne, Holger und ich – saßen in einem von Susanne gesteuerten Vierer.
Doch bevor wir starten konnten, passierte das Malheur: Beim Einsetzen des Bootes war der Platz knapp, alles ging etwas hektisch zu, und plötzlich verlor Holger S., der gerade half, unser Boot in die richtige Lage zu bringen, das Gleichgewicht – Platsch! – und landete im Wasser! Er nahm es recht gelassen, obwohl dabei seine Brille verloren ging. Die französischen Organisatoren reagierten auch gelassen und halfen sofort mit Handtüchern und Ersatzkleidung. Nach diesem unfreiwilligen Bad mit einigen Schürfwunden konnte es endlich losgehen.
Holger auf Schlag und Holger auf der Eins – und los ging’s. Holger S. auf Schlag griff kräftig durch, und wir überholten ein Boot nach dem anderen, trotz Wind, Wellengang und engem Wasserlauf. Für mich war das Ganze ein riesiges, aber auch forderndes Erlebnis: Ich kämpfte mit dem Tempo, dem wackelnden Boot, den Ansagen von vorne und den Tipps von hinten, versuchte verzweifelt, die Blätter sauber zu führen und im Rhythmus zu bleiben.
Die 22 Kilometer flogen vorbei – ohne Aussteigen, ohne Wechseln, nur mit drei winzigen Trinkpausen. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffen könnte. Nach einer kurzen Phase völliger Erschöpfung kam der Stolz: Ich hatte es geschafft! An diesem Wochenende hatte ich also insgesamt 50 km gerudert!
Am Ziel warteten schon unsere Partner, kümmerten sich um die Boote und fuhren uns zurück zum Bootshaus. Dort gab es ein gemeinsames Mittagessen mit allen Teilnehmern, Geschenke, gute Stimmung – und das wunderbare Gefühl, Teil eines großen Ganzen gewesen zu sein.
Lange konnten wir uns danach nicht mehr aufhalten, denn vor uns lag die Rückfahrt nach Deutschland. Christian und Michelle teilten sich das Fahren, und gegen 23 Uhr erreichten wir müde, aber glücklich wieder Worms.
Fazit
Vier Tage voller Erlebnisse, Bewegung, Wind, Wasser, Gemeinschaft und jeder Menge unvergesslicher Momente – von der malerischen Stadt Gent über stürmische Stunden in Gravelines bis zum großen Ruderevent auf der Aa.
Ich habe viel gesehen, geschwitzt, gefroren, gestaunt – und bin mit einem Herzen voller Eindrücke nach Hause gekommen.
Eines steht fest: Das war ganz sicher nicht meine letzte Ruderwanderfahrt.
Herzlichen Dank an Christian für die Organisation einer perfekten Reise.